Er schreibt über den Verlust von Heimat, über gebrochene Alltagshelden und die Erfahrungen in totalitärer Herrschaft – Siegfried Lenz mischt sich immer wieder ins politische Tagesgeschehen ein, er wird mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt und gehört zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur
Siegfried Lenz wird am 17. März 1926 im ostpreußischen Lyck – dem heute polnischen Elk – als Sohn eines Zollbeamten geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zieht seine Mutter mit seiner Schwester fort und lässt ihn bei seiner Großmutter zurück, bei der er aufwächst. 1943 legt er sein Notabitur ab und wird zur Kriegsmarine eingezogen. Von einer nachgewiesenen NSDAP-Mitgliedschaft weiß er nach eigenen Angaben zeitlebens nichts – er geht davon aus, dass er ohne sein Wissen zum NSDAP-Mitglied wird.
Kurz vor Kriegsende desertiert Siegfried Lenz in Dänemark und verbringt die restlichen Kriegsmonate in britischer Gefangenschaft, wo er als Dolmetscher einer britischen Entlassungskommission tätig ist. Danach lässt er sich in Hamburg nieder, wo er Philosophie, Anglistik und Literatur studiert – das Studium bricht er schon bald ab, um bei der Hamburger Tageszeitung „Die Welt“ ein Volontariat zu absolvieren, von 1950 bis 1951 ist er Redakteur dieser Zeitung.
1951 veröffentlicht Siegfried Lenz mit „Habichte in der Luft“ seinen ersten Roman. Mit dem Honorar finanziert er eine Afrikareise – aus den dortigen Erlebnissen entsteht die Erzählung „Lukas, sanftmütiger Knecht“, die sich mit dem Mau-Mau-Aufstand auseinandersetzt. Im selben Jahr erscheint seine erste Sammlung von Kurzgeschichten „So zärtlich war Suleyken“ – das Buch ist aufgrund seiner neuartigen Erzählweise und der Verwendung des masurischen Dialekts sehr erfolgreich und Siegfried Lenz erlangt größere Bekanntheit.
1968 erscheint mit „Deutschstunde“ das wohl berühmteste Buch von Siegfried Lenz – darin setzt er sich mit der Verquickung von Schuld und Pflicht in der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Das Buch verkauft sich mehr als 700.000 Mal und sichert dem Autor die wirtschaftliche Unabhängigkeit – es wird fürs Fernsehen verfilmt, wird Pflichtlektüre an deutschen Schulen und kommt als Theaterstück auf die Bühne. Mit dem autobiografisch geprägten Roman „Heimatmuseum“ kann Siegfried Lenz 1978 an diesen Erfolg anknüpfen.
Siegfried Lenz schreibt neben vierzehn Romanen hundert Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele, Rezensionen und mischt sich immer wieder ins politische Tagesgeschehen ein – er gilt in der deutschsprachigen Literatur als Wegbereiter des Genres der Kurzgeschichte und bleibt lange deren herausragender Vertreter. Zu seinen Vorbildern gehören amerikanische Autoren wie Ernest Hemingway und William Faulkner. Literaturkritiker bezeichnen Siegfried Lenz neben Heinrich Böll und Günter Grass als wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur.
Siegfried Lenz engagiert sich zusammen mit seinem Kollegen Günter Grass jahrelang für die SPD und unterstützt Willy Brandts Ostpolitik – 1970 wird er zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages nach Warschau eingeladen. Eine tiefe Freundschaft verbindet ihn jahrzehntelang mit dem deutschen Altkanzler Helmut Schmidt.
Seit 1967 ist Siegfried Lenz Mitglied des deutschen PEN-Zentrums und seit 2003 Gastprofessor an der Düsseldorfer „Heinrich-Heine-Universität“ sowie Ehrenmitglied der „Freien Akademie der Künste“ in Hamburg. 2002 wird er Ehrenbürger der Freien und Hansestadt Hamburg und 2011 Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Elk. Er wird mit zahlreichen weiteren Auszeichnungen geehrt – darunter der „Kulturpreis der Landsmannschaft Ostpreußen“, der „Gerhart-Hauptmann-Preis“, der „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“, der „Heinz-Galinski-Preis“, der „Goethepreis der Stadt Frankfurt/Main“, der „Hannelore-Greve-Literaturpreis“ und der „Lew-Kopelew-Preis“. In alter hanseatischer Tradition lehnt Siegfried Lenz die Verleihung des „Bundesverdienstkreuzes“ ab – als Grund nennt er jedoch die Tatsache, dass auch viele ehemalige Nationalsozialisten diesen Orden erhalten haben.
2014 gründet Siegfried Lenz eine gemeinnützige Stiftung, die sich um die Aufarbeitung seiner Werke kümmert und von der alljährlich der „Siegfried Lenz Preis“ vergeben wird.
Von 1949 bis zu deren Tod 2006 ist Siegfried Lenz mit seiner Frau Lieselotte verheiratet. 2010 heiratet er die Dänin Ulla Reimer, eine langjährige Freundin seiner ersten Frau, der er 2008 eines seiner letzten Bücher – die Liebesnovelle „Schweigeminute“ – widmet. Bis zu seinem Tod leben beide im Hamburger Stadtteil Othmarschen und auf der dänischen Insel Fünen.
Siegfried Lenz stirbt am 7. Oktober 2014 im Alter von achtundachtzig Jahren in Hamburg – er wird neben seiner ersten Frau Liselotte auf dem Hamburger Friedhof Groß-Flottbek beigesetzt. In der Hamburger St. Michaeliskirche findet eine Trauerfeier statt, auf der Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sagt: „Hamburg hat nicht nur einen Ehrenbürger verloren, sondern auch einen bedeutenden, geschätzten Schriftsteller und eine beeindruckende Persönlichkeit“.
Kurz vor Siegfried Lenz’ Tod werden einige bisher unbekannte Gedichte gefunden, die zwischen 1947 und 1949 entstanden sein sollen – eine Veröffentlichung steht noch aus. Erst 2016 wird sein Roman „Der Überläufer“ veröffentlicht, der in den fünfziger Jahren entstanden ist.