Sie ist Tänzerin, Schriftstellerin, Alleinunterhalterin – Lotti Huber ist nicht grau, nicht leise, nicht unauffällig. Für ihr Publikum ist sie weit mehr als eine Schauspielerin. Sie verkörpert das Lebensprinzip der unwürdigen Greisin und präsentiert sich brillant als Selbstdarstellerin – mit leichtem Lispeln und zuckersüß geflöteten Frechheiten – ihre Talkshowauftritte sind legendär. Sie singt von Trieben und Träumen und beschwört dabei, dass es im Alter noch andere Dinge gibt als Butterfahrten, Gesundheitsschuhe und Friedhofsbesuche
Lotti Huber wird als Charlotte Goldmann als Tochter jüdischer Eltern am 16. Oktober 1912 in Kiel geboren. Mit zwei Brüdern wächst sie in großbürgerlichen Verhältnissen auf, ihr Vater ist ein wohlhabender Textilkaufmann. In ihrem Elternhaus verkehren viele Künstler und Lotti Huber strebt schon früh eine Bühnenkarriere an – ihre Idole sind die berühmten Tänzerinnen Isadora Duncan und Mary Wigman.
Lotti Huber zieht ins pulsierende Berlin der frühen dreißiger Jahre und lebt dort unverheiratet mit ihrer Jugendliebe Hillert Lueken – dem Sohn des ehemaligen Kieler Oberbürgermeisters – zusammen. Er ist „arisch“, sie ist es nicht und wird von einer Schulkameradin verraten. Wegen „Rassenschande“ bringt man sie ins Konzentrationslager Lichtenburg, ihr Freund wird in der Untersuchungshaft erschossen. Nach einem Jahr im Konzentrationslager wird Lotti Huber durch das Engagement ihres Bruders von einer jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation freigekauft. Die Künstlerin bringt aus dieser Zeit ein „unglaubliches Misstrauen gegen alle Ideologien“ mit – dass „erst das Fressen, dann die Moral“ kommt, ist für sie das einzige Prinzip, das zählt. Sie geht über die Schweiz und Italien ins palästinensische Haifa, lebt einige Jahre in Palästina, in Ägypten, in London, auf Zypern, betreibt ein Restaurant und arbeitet als Nachtklub-Tänzerin.
Lotti Huber hat eine Vorliebe für englische Militärs und heiratet zweimal – einen britischen Major, von dem sie sich später scheiden lässt, dann einen Colonel, mit dem sie in den sechziger Jahren nach Berlin übersiedelt. Nach dem Tod ihres Mannes muss sie sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Sie übersetzt Liebesromane aus dem Englischen, eröffnete in ihrer Wohnung eine Benimmschule, verkauft in Warenhäusern Kräuterlikör und arbeitet als Filmstatistin.
Ihren Durchbruch hat Lotti Huber erst im vorgerückten Alter. Anfang der achtziger Jahre arbeitet sie mit dem Regisseur Rosa von Praunheim zusammen und wird seine Muse. Ihre Rolle in „Unsere Leichen leben noch“ (1982) macht sie auch ausserhalb der Berliner Underground-Szene bekannt. In „Horror Vacui“ und in „Anita Berber – Tänze des Lasters“ (1987) brilliert Lotti Huber als talentierte Charakterdarstellerin. Obendrein arbeitet sie als Schriftstellerin – ihre Autobiografie „Diese Zitrone hat noch viel Saft“ beschreibt nicht nur eines ihrer Werke, sondern auch sich selbst. Mit einem gleichnamigen Solo-Abend, in welchem sich biografische Erzählungen, Tanz, Kabarett und Chanson miteinander verbinden, geht sie in den neunziger Jahren auf eine erfolgreiche Tournee. Lotti Huber ist multimedial bestens im Geschäft, als Schauspielerin bekommt sie selbst in den USA hymnische Kritiken – als „große Entdeckung mit unglaublicher Ausstrahlung“ feiert sie „Variety“ und das New Yorker Kulturblatt „The Village Voice“ findet sie „unwiderstehlich komisch“.
„Affengeil – affengeil. Pfui Lotti, nicht immer so ordinär – da wärt ihr enttäuscht, wenn ich nicht wär“ singt Lotti Huber über sich selbst. Sie ist mal schräg, mal derb und immer eines – anders. Sie will nicht diplomatisch sein, sondern einfach nur „sein“. „Jede Zeit ist meine Zeit, jede Minute ein Stück Lebenserfahrung und überhaupt lässt sich nichts wiederholen“ so die Künstlerin.
Lotti Huber hat das sympathische Bedürfnis, stets authentisch und echt sein. „Ich zwinge mich nicht, froh zu sein“ sagt sie, „ich lebe das aus, was ich empfinde. Meine Ideen entstehen auf dem Klo, inspiriert werde ich auch von Beate Uhse. Wenn andere Menschen behaupten, meine Auftritte und Äußerungen seien unerhört, ist mir das egal.“ Daneben gibt es auch eine ernsthafte Lotti Huber, die für Hermann Hesse schwärmt und Gedichte schreibt.
Seit Beginn der achtziger Jahre hat Lotti Huber eine große Fangemeinde vor allem in der schwul-lesbischen Szene Berlins.
Lotti Huber, die sich gerne als letzte Individualistin beschreibt, stirbt am 31. Mai 1998 in Berlin. Sie ist auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße in Berlin neben ihrem Mann Norman Edwin Huber beigesetzt.