Er ist flamboyanter Bohémien und wortstarker Kritiker, liebt die Indiskretion und wird für seinen sarkastischen Humor geliebt wie gefürchtet – Gore Vidal nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die amerikanische Gesellschaft mit beißenden Spott zu überziehen. Die „Los Angeles Times“ bezeichnet den scharfsinnigen New Yorker einst als „herrischen Störenfried des nationalen Gewissens“
Eugene Luther Gore Vidal wird am 3. Oktober 1925 als Sohn eines Luftwaffenoffiziers in der Militärakademie West Point im US-Bundestaat New York geboren – sein Großvater mütterlicherseits Thomas Pryor Gore ist US-Senator in Oklahoma, entfernt zählt auch der ehemalige amerikanische Vizepräsident und Nobelpreisträger Al Gore zu seiner Verwandtschaft. Gore Vidal bezeichnet sich gerne als das „schwarze Schaf“ der Familie – nicht nur wegen seiner radikalen Kritik an den politischen Verhältnissen in den USA, sondern auch wegen seiner öffentlich ausgelebten und in seinen Büchern geschilderten Homosexualität.
Zu seiner alkoholkranken Mutter Nina Gore hat der Gore Vidal zeitlebens ein angespanntes Verhältnis, nach ihrem Tod verstreut er ihre Asche am Straßenrand – darüber schreibt er später: „Weil der Knochenstaub zu mir zurück wehte, vergewisserte ich mich gleichzeitig, dass die chirurgischen Schrauben nicht auf der Straße landeten, wo sie sich letztendlich in einen Reifen bohren konnten“.
Nach seiner Schulzeit in Washington, D.C. und New Mexico studiert Gore Vidal von 1940 bis 1943 an der „Phillips Exeter Academy“. Nach dem Universitätsabschluss tritt er in die US-Army ein – wo er vor allem Verwaltungstätigkeiten ausübt – und arbeitet als Maat auf einem Transportschiff, danach beginnt er einen Job als Lektor in einem New Yorker Verlag. Weil bereits sein erster veröffentlichter Roman „Williwaw“ ein großer Erfolg wird, gibt Gore Vidal den Job als Lektor bald wieder auf. Er reist und schreibt, darunter auch eine Reihe von Detektivromanen – für seine zahlreichen Publikationen benutzt er häufig Pseudonyme. In New York verfasst er auch Drehbücher – unter anderem für den Monumentalfilm „Ben Hur“ (1959) und das Broadway-Stück „Visit To A Small Planet“, das rund vierhundertmal aufgeführt wird.
Nebenher betätigt sich Gore Vidal auch als Schauspieler – er spielt in den Filmen „Fellinis Roma“ (1972) von Federico Fellini, in „The Player“ (1992) von Robert Altman sowie in „Bob Roberts“ (1992) und in „Gattaca“ (1997) neben Ethan Hawke, Uma Thurman und Jude Law.
Die politische Karriere von Gore Vidal verläuft – trotz der Unterstützung von John F. Kennedy – weniger erfolgreich. 1960 bewirbt er sich mit dem Slogan „You’ll Get More With Gore“ als Kandidat der Demokraten um einen Sitz im Repräsentantenhaus der USA und unterliegt dem Republikaner J. Ernest Wharton. 1970 ist er Mitbegründer der linksliberalen „People’s Party“ und 1982 tritt er – abermals für die Demokraten – in Kalifornien zu Vorwahlen für den US-Senat an.
Gore Vidal beweist sich als profilierter Kritiker des politischen Systems der USA, die für ihn ein Polizeistaat sind und in welchem Republikaner und Demokraten als Einheitspartei für die Interessen von Großkonzernen eintreten. 2004 nimmt Gore Vidal an Kundgebungen gegen den Irakkrieg teil – den US-Präsdenten George W. Bush bezeichnet er als „dümmsten Mann der Vereinigten Staaten“.
1996 gehört Gore Vidal zu den Unterzeichnern eines offenen Briefs an den damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem der deutsche Umgang mit „Scientology“-Anhängern angeprangert wird. Allerdings ist Gore Vidal auch ein großer Kritiker der in Europa umstrittenen Sekte – über den Sektengründer L. Ron Hubbard sagt er: „Er strahlte das Übel, Arglistigkeit und Dummheit aus“.
Gore Vidal gilt als einer der intelligentesten und vielseitigsten Autoren der USA – deren Geschichte er in knapp zwanzig historischen und satirischen Romanen, in zwölf Bänden mit unterhaltsamen Essays, sowie in Drehbüchern und Reden aufarbeitet. Viele seiner Romane behandeln historische Persönlichkeiten der USA und der Weltgeschichte – so schreibt er unter anderem über Aaron Burr, über Präsident Ulysses S. Grant, über Präsident Abraham Lincoln und über Präsident Theodore Roosevelt. 1948 schockiert sein Buch „The City And The Pillar“ wegen der offenen Thematisierung von Homosexualität die amerikanische Öffentlichkeit. Das Buch ist seiner Jugendliebe Jimmy Trimble gewidmet, der im Zweiten Weltkrieg im Pazifik ums Leben kommt. 1993 gewinnt Gore Vidal in den USA den „National Book Award“.
„Stil ist zu wissen, wer du bist und was du zu sagen hast, und dich nicht darum zu kümmern, was andere denken“ sagt Gore Vidal einmal – er verbringt viel Zeit im internationalen Jet-Set und gilt mit seiner Vorliebe für Indiskretionen jahrelang als geistreichste Klatschbase seiner Zeit. Mit seinem boshaften Humor ist er jahrelang als Krawallschachtel verschrien – kommt ihm eine Gehässigkeit in den Sinn, muss sie raus, wenn sie nur brillant genug ist. Zu seinen Bekannten gehören unter anderem Frank Sinatra, Eleanor Roosevelt, Tennessee Williams, Robert Kennedy, Paul Bowles, William Somerset Maugham, André Gide, Anais Nin, Jean Cocteau, Alec Guinness, Lee Radziwill und Allen Ginsberg – mit dem Schrifsteller Truman Capote verbindet ihn eine lebenslange von Konkurrenz geprägte Antipathie.
Bereits in jungen Jahren erwirbt Gore Vidal oberhalb von Hollywood ein Haus. Seit den siebziger Jahren lebt er mit seinem Lebensgefährten – dem Werbefachmann Howard Austen – hauptsächlich im süditalienischen Ravello an der Amalfiküste. Auf die Frage, wie man es aushält, über fünfzig Jahre lang mit demselben Partner zusammenzuleben, antwortet Gore Vidal: „Indem man keinen Sex hat“. Nach dem Tod des Freundes 2004 zieht Gore Vidal zurück in die USA.
Gore Vidal stirbt am 1. August 2012 in seinem Haus in den Hollywood Hills im Alter von sechsundachtzig Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.