Der auch „Rote Zar“ genannte preußische Ministerpräsident ist einer der mächtigsten Männer der Weimarer Republik und setzt im damals größten deutschen Teilstaat zahlreiche Reformen durch – bis zuletzt stemmt sich Otto Braun als Humanist und überzeugter Demokrat gegen den Nationalsozialismus, dies muss er mit dem Gang ins Exil bezahlen
Otto Braun kommt am 28. Januar 1872 im ostpreußischen Königsberg als Sohn eines Bahnangestellten zur Welt. Nach einer kurzen Schulzeit absoviert er eine Lehre als Stein- und Buchdrucker. Bereits mit sechzehn Jahren tritt er 1888 in die bis 1890 durch die Sozialistengesetze in den Untergrund abgedrängte SPD ein und startet mit seinem ausgeprägtem organisatorischen Talent eine Karriere als Parteifunktionär.
Als Zwanzigjähriger bringt Otto Braun im Alleingang die linksgerichtete Königsberger Volkszeitung heraus – in jener Zeit ist er die herausragende Figur der ostpreußischen SPD, deren Vorsitzender er seit 1898 ist. 1913 wählt man ihn ins preußische Abgeordnetenhaus und 1919 wird er preußischer Landwirtschaftsminister. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg setzt sich Otto Braun gegen die Zerschlagung des Landes Preußen ein, das er als demokratische Ordnungszelle Deutschlands wahrnimmt – auch mit den weiteren Bedingungen des Versailler Vertrages ist er nicht einverstanden.
Von 1921 bis 1932 ist Otto Braun Ministerpräsident des Freistaats Preußen – durch diese Kontinuität ergeben sich in Preußen über einen längeren Zeitraum stabile Regierungsverhältnisse. Otto Braun versucht entgegen aller Tendenzen Preußen zu einem republikanischen Bollwerk in der Weimarer Republik aufzubauen.
In die Amtszeit Otto Brauns als preußischer Ministerpräsident fallen die Auseinandersetzung mit den Großgrundbesitzern, die polnische Grenz- und Minderheitenfrage sowie die Ruhrbesetzung und der Ruhrkampf. Auch wird das Schulwesen reformiert und die Verwaltung umgestaltet – unter anderem gelingt es Otto Braun, antidemokratisch und monarchistisch gesinnte Beamte aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Dem preußischen Ministerpräsidenten fehlt zwar das rhetorische Geschick und das Vermögen seine Zuhörer mit Emotionen mitzureißen – dennoch erfreut er sich im Preußen jener Zeit großer Popularität.
Otto Brauns progressive Reformpolitik und die preußische Dominanz stößt nicht überall auf Gegenliebe – sein jahrelang öffentlich ausgetragener Kleinkrieg mit dem damaligen Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer ist legendär. Konrad Adenauer missfällt die preußische Vormachtstellung im Deutschen Reich – jahrelang engagiert er sich für ein unabhängiges Rheinland.
1890 lernt Otto Braun auf einer Parteiversammlung seine Frau Emilie kennen – 1894 heiraten beide. Aufgrund einer unheilbaren Erkrankung ist Emilie Braun seit 1927 auf den Rollstuhl angewiesen – Otto Braun pflegt seine Frau aufopfernd. Aus der Ehe geht Sohn Hans hervor, der 1915 im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger mit einundzwanzig Jahren an Diphtherie stirbt.
Zeit seines Lebens liebt Otto Braun die Natur, er schreibt Gedichte und geht auf die Jagd – das aristokratische Hobby wird ihm von seinen linken Parteigenossen häufig vorgeworfen. Mit dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg – zu dem der SPD-Politiker ein ungewöhnlich gutes Verhältnis hat – berät er sich gern auf gemeinsamen Jagdausflügen. Der gefeierte Weltkriegsveteran und der aus einfachen Verhältnissen stammende Otto Braun begegnen sich auf Augenhöhe. Paul von Hindenburg bemerkt nach einem ersten Treffen: „Meine Freunde sagten mir, der Otto Braun sei ein fanatischer Hetzer. Jetzt sehe ich, dass er ein ganz vernünftiger Mensch ist, mit dem man über alles sprechen kann“. Lange kann sich Otto Braun jedoch nicht gegen das Umfeld des Reichspräsidenten durchsetzen – spätestens seit dem Verbot des rechtskonservativen Verbandes „Rheinischer Stahlhelm“, dessen Ehrenvorsitzender Paul von Hindenburg ist, ist das Vertrauen zwischen beiden zerstört.
Mit dem sogenannten „Preußenschlag“ von 1932 – bei dem die Regierung per Notverordnung für abgesetzt erklärt und ihre Befugnisse auf Reichskommissare übertragen wird – wird die Regierung von Otto Braun entmachtet. Erfolglos versucht Otto Braun noch dem illegalen Vorgehen entgegenzutreten – doch spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird seine Reformpolitik revidiert.
Nach dem Reichstagsbrand 1933 erhält Otto Braun Warnungen, dass sein Leben bedroht sei – zusammen mit seiner schwerkranken Frau setzt er sich über Österreich ins schweizerische Locarno ab, wo er sich niederlässt und in teilweise schwierigen finanziellen Verhältnissen und unter Depressionen leidend den Rest seines Lebens verbringt. Er widmet sich der Gartenarbeit und verfasst seine Memoiren „Von Weimar zu Hitler“. 1943 tritt er als Verfasser der „Richtlinien eines demokratischen Antinazi-Blocks“ hervor. Nach dem Krieg besucht er in der Bundesrepublik zwar noch die Parteitage der SPD, hält sich aber sonst aus dem politischen Leben zurück.
Otto Braun stirbt am 15. Dezember 1955 im schweizerischen Locarno.
Obwohl Otto Braun einer der mächtigsten Männer der Weimarer Republik ist, verschwindet er in der Nachkriegszeit weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein – in der Bundesrepublik dominiert jahrelang Konrad Adenauer, der überzeugter Gegner des Preußentums und des Sozialismus wie auch Otto Brauns innenpolitischer Gegner ist. Erst gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts beginnen sich die Deutschen wieder für Otto Braun zu interessieren.
Im Berliner Stadtteil Zehlendorf wird unweit des ehemaligen Wohnhauses von Otto Braun ein Gedenkstein aufgestellt und 1995 benennt die Stadt Berlin eine Strasse nach ihm. Der persönliche Nachlass von Otto Braun befindet sich in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam.